Warum widmet sich ein Ensemble, das sich seinen Ruhm vor allem mit Raritäten alter Musik und ebensolchen der neuen bis allerneuesten Musik erspielt hat, ausgerechnet dem erfolgreichsten Oratorium des Barock? Dem Mainstream-Werk weihnachtlicher Musik schlechthin?
Die Antwort des Ensemble Resonanz fiele vermutlich karg und ehrlich aus: »Weil Weihnachten ohne WO nur die halbe Wahrheit ist.«
Denn so oft man das »WO« auch gehört und gespielt haben mag: Man will es immer wieder hören und immer wieder spielen. Und das Werk ist mit seinen sechs Teilen und 64 Nummern so umfangreich, dass jeder seine eigene Konzertversion daraus destillieren kann.
Beim Ensemble Resonanz wurde daraus: Eine Hausmusik unter Freunden. Nachdem das Ensemble mit dem »resonanzraum« auf St. Pauli endlich ein dauerhaftes und eigenes Zuhause gefunden hatte, schien es Konzertmeisterin Juditha Haeberlin und den anderen Musikern an der Zeit, Bachs für jeden von ihnen mit so vielen Erinnerungen verbundenes Oratorium quasi heimzuholen, es sich fürs Ensemble zu eigen zu machen. Nun heißt »zu eigen machen« beim Ensemble Resonanz: Jede Note hinterfragen, jede Konvention prüfen und jede musikalische Zeitform als reine Gegenwart inszenieren. Immer mit Respekt – und immer mit Hingabe, weil sie’s anders gar nicht können.
In der Begrüßung erzählte Juditha Haeberlin dem Publikum von der Advents- zeit ihrer Kindertage, vom Moossammeln im Wald mit dem Vater und den beiden Geschwistern für die Krippe unterm Tannenbaum. So wurde der resonanzraum zum Wohnzimmer, die Musiker zum Chor, das Werk zur Kammermusik mit Barockbratschen, E-Gitarre und Vintage Keyboards. Diese Besetzung ließ manche argwöhnen und andere hoffen; tatsächlich liegt ein feiner Thrill in der ungewohnten Klanglichkeit. Beste Hausmusik des 21. Jahrhunderts: Historisch informiert, authentisch in ihrer Intention und – warm, weil in erster Linie fürs Miteinander gedacht.